Der einsame Berg, eine wilde Küste und fliegende Drachen

In Washington war das Land noch sehr dünn besiedelt, ich fuhr meist alleine durch das mystische Grün der tiefen Wälder. Kurz vor der Grenze nach Oregon änderte sich dies schlagartig, die zwei alternativen Routen der Pacific Coast Route trafen zusammen und es begann eine Zeit voller interessanter Begegnungen. Doch kurz vor Cape Disappointment, dem letzten State Park vor der Grenze Oregons, hatte ich den aller ersten Platten der Tour. Und das ausgerechnet während dem Anstieg zum Leuchtturm, mitten im Wald auf einer engen Straße ohne Seitenstreifen. Dennoch war ich froh in gute Reifen investiert zu haben. Meine Schwalbe Marathon Mondial machten nie Probleme, nur war mein Hinterreifen nach mehr als 5000 KM über Stock und Stein schon so abgenutzt das die Lauffläche recht dünn geworden war. Ich hätte mit dem Reifen bestimmt noch eine Weile fahren können, da ich aber eh das Rad demontieren musste verwendete ich gleich einen neuen Schlauch und meinen unbenutzten Ersatzreifen den ich immer mit mir habe. Ich kann jedem nur diesen Reifen empfehlen, es ist das Maß der Dinge, es ist DER Weltreise-Reifen.

Auf dem Campingplatz des State Parks traf ich Sophie aus Südengland. Da wir uns bereits Tage zuvor über den Weg gefahren sind verwunderte es uns nicht, dass wir beide das gleiche Buch („Bicycling the Pacific Coast“) lasen. Sophie fuhr auf ihrer ersten Solo-Fahrradtour von Vancouver runter an die mexikanische Grenze. Wir kochten zusammen und erzählten Geschichten über die bisherigen Erlebnisse. Ich erzählte ihr auch von meinen Plänen mit dem Bus einen kleinen Ausflug nach Portland zur Fahrradhauptstadt Amerikas zu unternehmen. Sie kam ins Grübeln. Sophie meisterte ohne Probleme die sportliche Herausforderung einer solchen Tour, doch erzählte sie mir das sie sich immer noch nicht an die Einsamkeit und Stille auf dem Rad gewöhnt habe. Sie hatte seit Vancouver nur wenige andere Biker getroffen und so genoss sie wie ich die Gesellschaft einer anderen wildfremden Person. Kurzerhand beschloss sie mit mir nach Portland zu fahren und einen kleinen Urlaub von der Strasse zu nehmen. Doch zwischen uns und der Bushaltestelle in Astoria, Oregon lag eine der gefährlichsten Brücken an der Pazifikküste. Sophie taufte die sieben Kilometer lange Brücke über den Columbia River „The Bridge of Doom“. An historischer Stelle wo bereits die Entdecker Lewis und Clark an den Pazifik gelangten ließ uns der Anblick des mächtigen Columbia River zittern. Jeder empfahl uns mit dem Bus über die Brücke zu fahren, doch standen wir nicht alleine staunend vor der Brücke, auch ein Kanadier hatte den gleichen Blick in den Augen. Es war nervenaufreibend! Bei starkem Seitenwind und Verkehr kämpften wir uns in einer Kolonne über die Brücke, mussten über zahlreiche tote Möwen fahren und hatten das Glück das in einer Baustelle am Ende der Brücke der Verkehr für uns gestoppt wurde. Puh, überlebt! Bevor der Bus kam aßen wir einen Burger und tranken gemütlich ein Bier. Als Mark mit seiner Kühlbox bestücktem Tourenrad auf ein Bier vorbei schaute wurde es richtig lustig. Zuvor tauchte er noch sein Vorderrad in den Pazifik. Der extrem lustige Kerl, um die 60 Jahre alt, fuhr die letzten drei Monate quer durch die USA von Küste zu Küste (ca. 5000KM). Sophie und ich waren von seiner euphorischen freundlichen Art begeistert und wir hatten eine tolle Zeit. Als ich ihn neugierig fragte wie es weitergeht antwortete er: Auf einer anderen Route weitere drei Monate zurück nach Hause an die Ostküste. Da war ich platt und man beginnt zu realisieren was alles möglich ist wenn man sich nur traut!

Die folgenden drei Tage in Portland vergingen wie im Flug. Ich wollte viel unternehmen doch am meisten habe ich gegessen, geschlafen, bin einfach durch die Stadt geschlendert oder in Fahrradshops an der Bar abgehangen. Ich ließ relativ kostenintensiv mein Fahrrad reparieren, den für eine neue Kette und Kassette war es schon lange Zeit. Mit Sophie traf ich mich zum Essen, wir testeten lokale Biere der zahlreichen Brauereien und waren beide fasziniert. Seit Washington erlebten wir beide nicht nur einzigartige Natur sondern auch die „Downsides“, das „tatsächliche“ Leben in den USA. Als Reisender mit dem Rad ist man auch abseits der üblichen Touristenpfade unterwegs und nimmt unmittelbar am Alltagsleben Teil. Das war nicht immer schön. Ein Bild das teilweise von Armut, Obdachlosigkeit und Drogenkonsum gezeichnet wurde. Nirgendwo habe ich diese Kontraste mehr erlebt wie in Portland. Portland ist nicht groß, etwa. 600.000 Einwohner. Es ist einerseits eine grüne viktorianische Kleinstadt, andererseits eine Industriestadt mit einer ausgezeichneten Bier und Esskultur. Die Fahrradszene ist phänomenal und die Kultur ziemlich divers. Doch sieht man eben auch wie nah Arm und Reich hier beieinander leben. Da ich darauf verzichtete nachts unterwegs zu sein war ich froh, dass meine Airbnb Gastgeber aus Dänemark und Peru echt super nett und entspannt waren. So verbrachte ich die Abende meist mit Tomas auf der Terrasse und philosophierte mit ihm über alles Mögliche. Sophie hatte leider nicht mehr so viel Zeit und fuhr bereits nach zwei Tagen zurück an die Küste.

Den einsamen Berg Mount Hood konnte man bereits von Portland erahnen. Tomas schwärmte vom Berg und als ich nochmals die Bilder sah entschloss ich mich mit dem Rad einen kleinen Ausflug an den Berg zu unternehmen. Es ging zum Lost Lake an den Fuß des größten Berges Oregons. Es sollte eine harte Etappe von Portland über den Lolo Pass zum Lost Lake werden. 35 Grad, kein Schatten und von Portland geht es 95 Kilometer inkl. zweier harter Anstiege quasi nur bergauf. Man sah den Berg nahezu die ganze Zeit vor oder neben sich. Am Ende waren es knapp 1700 Höhenmeter und ich kam völlig entkräftet aber glücklich am späten Abend an, lief durch den General Store und kaufte massig Trashfood und Trinken. Der Besitzer war so nett und schenkte mir drei Pizzastücke die übrig geblieben waren. Ich glaube er hat noch nie so schnell drei Pizzastücke verschwinden gesehen. Die Nächte verbrachte ich am See der den Sternenhimmel samt Milchstrasse spiegelte und mich verzauberte. Ich blieb drei Tag am See, wanderte und fuhr mit dem Kanu. Fast jede Minute verbrachte ich am See und schaute der Sonne beim Untergehen und der Milchstraße beim Aufgehen zu, ich lief durch den stockfinsteren Wald und träumte vor mich hin. Ohne Telefonempfang kann man es erst so richtig genießen und einfach nur die Seele baumeln lassen. Der Store bot eine teure und sehr langsame Internetverbindung und so plante ich meinen Rückweg an die Küste. Meine Airbnb Hosts aus Portland Tomas und Marcella informierten mich das sie einen Hike am Lost Lake unternehmen würden. Und so ergab sich meine Rückfahrt nach Portland.

Auf dem Rückweg führte uns der Weg durch die Schlucht des Columbia Rivers entlang zahlreicher Obstplantagen. Wir hielten und pflückten die größten und geschmackvollsten Kirschen die ich je gegessen habe. Durch die Fahrt mit dem Auto und dem anschließenden Transfer mit dem Bus von Portland zurück an die Küste sparte ich mir zwei Tage auf einem viel befahrenen Highway. Ich traf viele sportlich ambitionierte Radler auf meiner Reise, viele davon legten mehrere 100 Kilometer am Tag zurück, andere wiederum wollten jeden Meter mit dem Rad fahren. Als ich meine Reise begann dachte ich ähnlich, doch merkte ich wie sich dies änderte. Ich wollte nicht mehr möglichst viele Kilometer fahren, ich wollte möglichst viel erleben und genießen. Und dazu gehörte für mich nicht der Kampf auf einem viel befahrenen Highway wenn es andere Möglichkeiten gab. Bevor mein Bus zurück an die Küste ging hatte ich noch ein wenig Zeit in Portland. Es war unglaublich! Ich war vorher vier Tage ohne bepacktem Rad in Portland unterwegs. An diesem Tag war ich zwei Stunden mit voller Beladung unterwegs und ich wurde zum Kaffee eingeladen, habe eine Unterkunft in den Redwoods angeboten bekommen und wurde extrem häufig angesprochen. Man glaubt es kaum, aber ist man als Radtourist unterwegs sind die Amerikaner extrem gastfreundlich. Ich meine das sind sie auch so aber das Rad verstärkt das ganze um ein Vielfaches. Man wird nicht mehr als Tourist wahrgenommen, man ist Reisender. Das ändert die Perspektive erheblich. Auf dieser Reise erfuhr ich so viel Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft, ich konnte es oft kaum glauben. Im Alltag Daheim hat man so oft das Gefühl das sich jeder selbst der nächste ist. Doch ist man offen und hilfsbereit so erfährt man dies auch selbst, ohne danach zu verlangen!

Als ich spät in der Nacht an der Küste ankam war es wolkig, kalt und es nieselte ab und an. Im Inland Oregons schien die Sonne bei 35 Grad, an der Küste war es wolkig bei 18 Grad und dazwischen liegen nur 200 Kilometer. Der Highway 101 schlängelte sich entlang der Küste gen Süden. Fortan begleitete mich der Pazifik immer zu meiner Rechten und nicht selten fuhr man um ein Kap oder aus dem Wald und es eröffnete sich ein atemberaubender Blick auf die raue mit einzelnen Felsen durchsetzte Küste Oregons. Ich wurde vom Wetter verwöhnt und jeden Tag ging es an einen anderen Strand an dem es mir gefiel. Es etablierte sich das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung, ich tat was mir in den Sinn kam, hielt wann ich Lust hatte. Ich verbrachte viel Zeit am Strand und lies meinen Drachen steigen. Teilweise konnte man sogar auf den riesigen Stränden mit dem Rad fahren. Als der 4. Juli (Independence Day) nahte waren die State Parks gut besucht und man sah vor lauter Stars&Stripes keine Häuser und Camper mehr. Es war teilweise sehr voll, doch als Radler bekam man dank des Hiker/Biker Systems der State Parks immer einen Platz. In den State Parks traf man lustigerweise häufig die gleichen Biker. Unternahm man viele Ausflüge oder fuhr Umwege traf man wieder neue Biker die einen quasi einholten. Die Hiker/Biker Sites waren gut besucht und man hatte jeden Abend eine nette Unterhaltung. Ich fing an eine imaginäre Liste der Nationalitäten zu führen: Dänemark, Holland, Ecuador, Japan, Korea, Spanien, Kanada, Brasilien, USA, Schweiz, Österreich, Italien, England, Frankreich etc. Es waren erstaunlich viele Europäer unterwegs.

Oregon ist ein Hotspot für Handwerker, so gibt es nicht nur ausgezeichnete kleine Brauereien und Spezialitäten in jeder Stadt sondern auch viele kleine Werkstädten die alle Art von Produkten produzierten. Ich versuchte schon seit Neuseeland „alle“ lokalen Biere zu probieren. In Oregon machte ich Bierproben in den zahlreichen kleinen Brauereien die auf dem Weg lagen. Ich besuchte auch die Werkstatt eines Leder-Handwerkers der sich auf Zubehör für Fahrräder spezialisiert hat. Und so konnte ich auch Tage abseits vom Rad verbringen und neue Ausrüstung zum Teil mit selbst gestaltet. Am nächsten Tag ging es dann meist wieder aufs Rad zu neuen spektakulären Buchten und Stränden. Hach war das ein Leben! Ich traf zwei Amerikaner die mit Rad samt Anhänger in dem es sich ihr Hund bequem machte quer durch die USA reisten. Koreaner die die Welt bereisten und alle sprachen von dem berühmten Käse aus Tillamook. Ich hatte bislang nur schlechte Erfahrungen mit amerikanischen analog Käse gemacht und war ziemlich skeptisch. Ich ließ die Käseprobe in der Käserei aus und fuhr lieber Richtung Cape Meares und der Three Capes Route. Leider wurde bei der Abzweigung zur alternativen Three Capes Route vor einer gesperrten Strasse gewarnt. Davon ließ ich mich natürlich nicht abhalten, denn war dies ein sehr sehenswerter Küstenabschnitt. Also fuhr ich weiter und traf ein junges Ehepaar vor ihrem Haus. Da die Anwohner meist am besten wissen wie die Lage ist, fragte ich natürlich. Doch bevor ich eine Antwort erhielt wurde ich zu einer Käseprobe im Haus eingeladen. Das Pärchen, beide Schauspieler, konnten es nicht fassen das ich die Probe in der Käserei in Tillamook ausgelassen hatte. Ich muss sagen der Käse war sehr lecker wenn auch nicht so besonders wie angepriesen. Das war jedoch egal den die Käseprobe war sehr witzig und unterhaltsam. Letztlich konnte man mit dem Rad die gesperrte Strasse fahren. Ich erlebte es oft das Einschätzungen wie „Es ist nicht mehr weit“, „Es ist nicht steil“, „Ja ich glaube da gibt es einen Supermarkt“ oder ähnliche Dinge nur bedingt den Tatsachen entsprachen. Daher wurde ich vorsichtig was derartige Auskünfte anging. Diese besagte Strasse war nur noch teilweise vorhanden und teilweise von starken Regenfällen weggespült worden. Man kam mit dem Rad zwar durch doch war dieser Abschnitt nicht gerade flach sondern eher ziemlich steil, entlang einer Klippe am Pazifik. Letztlich spannend und kein Problem, doch ließ die Aussage „Kein Problem, das ist einfach, da bin ich sogar noch mit dem Auto durch gefahren“ etwas anderes vermuten.

o.

Die Three Capes Route, wie der Name verrät, führte etwas abgelegener von Kap zu Kap. Es ging hoch und runter und jedes Mal wenn man am Kap oben ankam konnte man einen herrlichen Ausblick genießen. Wie am Cape Lookout, lustig das in Amerika die meisten Dinge sehr beschreibend benannt werden. Cape Lookout war ein außerordentlich schöner State Park und die Hiker/Biker Sites in mitten eines kleinen Wäldchens auf einer Klippe. Nachdem mich der Leuchtturm von Cape Meares ziemlich faszinierte, machte ich es mir zur Aufgabe zu versuchen alle der zahlreichen Leuchttürme der USA zu besuchen. Wie meine Reise weiter nach Süden verlief und ob ich tatsächlich alle Leuchttürme sah erfahrt ihr beim nächsten Mal.

Dennis

Dennis, 36 Jahre alt, hat sich eine ganz besondere Fahrradtour vorgenommen: Für sechs Monate fährt er mit dem Rad um die halbe Welt. Von Neuseeland, Kanada über die USA bis hin nach Europa erkundet er auf zwei Rädern verschiedenste Länder, reist durch extreme Klimazonen und genießt unvergessliche Momente. Sein ständiger Begleiter: SCHIESSER! Sowohl in Extrem-Sportwäsche auf dem Rad als auch in gemütlicher Loungewear am Lagerfeuer statten wir ihn rund um die Uhr mit unseren Lieblingsstücken aus und freuen uns auf neue Abenteuer-Berichte!

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